Grünes E-Mail-Marketing: Von Plakat-Fetischen und Dating-Analogien

Erster Teil unserer Serie über das Direkt-Marketing demokratischer Parteien während des Europawahlkampfs.

6/26/20246 min lesen

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Wenn ich meinen Klient:innen das Prinzip von Relationship Design erkläre, bemühe ich gerne die folgende Analogie: Vergessen wir einen Augenblick das Marketing-Gequatsche und stellen uns stattdessen Beziehungen in einem Dating-Kontext vor. Unser Protagonist versucht, mithilfe einer Online-Plattform die große Liebe zu finden. Er hat sich bei einem entsprechenden Anbieter angemeldet und sich – wie sollte es anders sein – im besten Licht präsentiert. Er bleibt ehrlich, aber er hinterlegt ein vorteilhaftes Foto, beschreibt wortgewandt seine Vorzüge und kommuniziert seine Erwartungen an einen möglichen Partner.

Die Dating-Analogie

Und dann schlägt der Algorithmus zu: Das Date steht an. Natürlich kann unser Protagonist nun unmittelbar in die Vollen gehen, seine Liebe gestehen und um die Hand der Angebeteten anhalten. Vermutlich wäre eine solche Strategie aber auch dann wenig erfolgversprechend, wenn die beiden eigentlich ein Perfect Match gewesen wären. Betrachten wir eine andere, möglicherweise erfolgversprechendere Strategie: Dieses Mal nimmt er sich Zeit, zeigt Interesse und gibt Dinge über sich selbst preis. Gemeinsam erkunden die Beiden, ob sie sich eine gemeinsame Zukunft vorstellen können.

Welche Strategie halten Sie für erfolgversprechender?

Sparen wir uns die Frage, wie sich diese Analogie in einen wirtschaftlichen Kontext übertragen lässt, und erkunden stattdessen deren Anwendbarkeit im politischen Raum. Zu diesem Zweck habe ich mich bereits vor Monaten für diverse Kommunikationskanäle verschiedener Parteien angemeldet, wobei ich in diesem Blog dezidiert auf die „Voter Experience“ von Grünen Newsletter-Abonnenten in der ersten Phase des Europa Wahlkampfs eingehen möchte. Die heiße Wahlkampfphase sowie die Performance anderer Parteien werden wir uns in kommenden Beiträgen ansehen.

Die „Aktion: Haltet mich auf dem Laufenden!“ der Grünen

Beginnen wir also mit der „Aktion: Haltet mich auf dem Laufenden!“ der Grünen und betrachten die Voter Journey als Abfolge von Interaktionen. Der Newsletter ist an verschiedenen Stellen der Website – wenn auch sprachlich etwas inkonsistent – eingebaut und relativ einfach zu finden. In diesem Kontext wird auch der konkrete Mehrwert des Angebots beschrieben: „Bleib auf dem Laufenden ... und informiert über Aktionen, Veranstaltungen und Kampagnen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Hier bekommst du Hintergründe zu unserer Arbeit in der Bundesregierung, Infomaterial und viele Möglichkeiten, dich zu beteiligen. Denn nur gemeinsam, können wir die Herausforderungen unserer Zeit stemmen!“

Auf den ersten Blick scheint mir dies angemessen. Wir kennen uns noch nicht, aber ich möchte mehr über euch erfahren! Ob ich mich beteiligen möchte? Sehen wir dann!

Die Reise beginnt …

Prozessual folgt die Anmeldung den üblichen Standards (Double-Opt-In, etc.) und wie erwartet starte ich meine Journey mit einer automatisierten Willkommensmail. Das Prozedere bis hier wirkt professionell und das System erscheint – soweit man das von außen beurteilen kann – sauber aufgesetzt.

Der Inhalt meiner ersten, grafisch eher schlicht gehaltenen E-Mail, überrascht mich dann aber doch. Nach einer kurzen Einleitung, in der – nach nunmehr auch schon wieder einer halben Ampel-Legislatur – die historische Chance nach 16 Jahren Opposition beschworen wird, geht es direkt zur Sache: „Das Wichtigste, was du jetzt tun kannst, ist […] dafür zu sorgen, dass unsere Inhalte und Botschaften ganz viele Menschen erreichen.“ Möglich machen soll das meine Unterstützung auf Social Media. Zu diesem Zweck sind die Accounts der Parteivorsitzenden verlinkt, die ich nun bitte liken möge. Für den Fall, dass mir dies zu schnell geht, wurden mir zwei kurze Vorstellungsvideos verlinkt. Und dann geht es ans Eingemachte, denn das Zweitwichtigste, was ich tun kann, ist offensichtlich, Mitglied zu werden.

Drei Tage Pause – was in diesem Fall fast schon eine eigentümliche Parallele ist – dann flattert die nächste E-Mail in meinen Posteingang. Keine Informationen, dafür eine Bitte: Das Wichtigste, was ich nun tun kann, ist nun, den Wahlerfolg mit einer Plakatspende zu unterstützen. Zudem gibt es die Möglichkeit, mir ein bestimmtes Motiv und einen passenden Plakatspot auszusuchen. Um ehrlich zu sein, habe ich mir das anders vorgestellt.

Oder, um in unserer Dating-Analogie zu bleiben:
Wollen wir nicht wenigstens erst Essen gehen?

Wieder drei Tage später meldet sich das Team Campaigning. Dabei wird eine Besonderheit der Kommunikation deutlich, denn die Grünen verwenden offensichtlich verschiedene Absende-Adressen, um diverse inhaltliche Ebenen voneinander zu trennen. Grundsätzlich kann man das machen, es besteht jedoch die Gefahr, dass dies bei den Empfänger:innen für Verwirrung sorgt. Um dies zu vermeiden ist eine genaue Abstimmung aller Beteiligten und eine sorgsam orchestrierte Kontaktstrategie erforderlich. Ob dies bei den Grünen gelungen ist, werden wir in einem der folgenden Teile erkunden. Hier befassen wir uns zunächst mit der inhaltlichen Ebene, denn dieses Mal erhalte ich tatsächlich so etwas wie eine Information: „Wir haben es geschafft! Die Legalisierung von Cannabis wird Wirklichkeit! Das Gesetz ist jetzt durch den Bundestag!“

Nun möchte ich mich an dieser Stelle nicht zur Ausgestaltung einer modernen Drogenpolitik äußern, und tatsächlich finde ich an der Idee dieser E-Mail grundsätzlich zunächst wenig falsch. Kommunikativ ist es dann aber doch zumindest unglücklich, dass dies unser erster inhaltlicher Touchpoint gewesen sein soll. Zumal mir die Autoren auch eher darauf bedacht scheinen, etwaige Kritik vorwegzunehmen, als das Thema tatsächlich für einen Erfolg zu feiern. Vielleicht bin ich spitzfindig, aber ich kann mir gut vorstellen, dass es Wähler auf beiden Seiten des Spektrums gibt, die diese Außendarstellung irritiert. Falls dem so ist, lässt mich die Mail mit meinen Fragen allein: Weiterführende Infos oder gar ein dialogisches Angebot? Fehlanzeige! Wohl aber die Bitte, diesen Newsletter mit meinen Freunden zu teilen.

Ich soll die Rechnung übernehmen?

Es vergehen gut zwei Wochen, bis sich wiederum das Team Campaigning mit einem Beitrag – dieses Mal zu den neuen Daten des Umweltbundesamtes: Deutschland kann zum ersten Mal die Klimaziele 2030 erreichen – meldet. Das ist tatsächlich mal eine Nachricht, wie ich sie von den Grünen erwartet hätte. Und irgendwie ist dieses Mal vieles anders: Der Newsletter ist anständig formatiert, unter dem kurzen Statement des Bundeswirtschaftsministers finde ich einen weiterführenden Link zur Website, und insgesamt habe ich zum ersten Mal das Gefühl, einen zeitgemäßen E-Mail-Newsletter vor mir zu haben. Kann es sein, dass sich da jemand für den Wahlkampf herausgeputzt hat?

Schade, dass der Text am Ende die Kurve doch nicht ganz kriegt, denn natürlich kostet das alles Geld, der Europawahlkampf steht an und die Grünen benötigen mein Geld für Plakate. Irgendwie fühle ich mich vor den Kopf gestoßen …

Erst recht, als ich wiederum zwei Wochen später die nächste Nachricht vom Team Campaigning erhalte, die dieses Mal – wieder im alten Design – unmittelbar zum Punkt kommt: „Hilf uns, unsere Kampagne für die Europawahl groß zu machen“ und „Unterstütze unsere Kampagne mit deiner Spende“. Im Text gleich zwei dicke Linkbuttons, die beide zur selben Spendenwebsite verweisen. Langsam wird mir klar, ich soll also die Rechnung bezahlen. Oder nochmal zwei Wochen später, als ich in einer neuerlichen E-Mail auf meine „Letzte Chance auf Dein Wahlkampfplakat“ hingewiesen werde. Darunter ein Link zu einem so genannten „Shop“, der – zumindest in der mobilen Darstellung – sich wirklich jedem gängigen Design-Standard verweigert.

Bewertung

Ihre Stärken hat die Aktion „Bleib auf dem Laufenden“ sicherlich da, wo sie mir einen konkreten, inhaltlichen Mehrwert liefert, wobei insbesondere die Mail des Teams Campaigning positiv auffallen. Vor diesem Hintergrund ist es Schade, dass solche Elemente durch den starken Fokus auf die Finanzierung von Plakatkampagnen überlagert wurden.

Am Ende der ersten Hälfte dieses Selbstversuchs fühle ich mich ein bisschen wie nach einem überstürzten Date, bei dem einer der Beteiligten viel zu schnell viel zu ernst geworden ist. Anstatt die Beziehung schrittweise zu entwickeln und so eine echte emotionale Verbindung aufzubauen, fühlte ich mich mit Forderungen überhäuft, teils überfordert und irgendwie unzufrieden. Zudem irritiert mich das zumeist unzeitgemäße Design der Newsletter und insbesondere des Plakatshops. Auch weil dieses Problem mit einem professionellen Template schnell aus der Welt zu schaffen gewesen wäre.

Nun bildet dieses Experiment natürlich nur einen winzigen Aspekt einer viel umfassenderen Erfahrungswelt ab. Wahlkampf ist nicht nur Email-Marketing und am Ende ist das größte Problem vielleicht, dass mich ein unklarer Call-To-Action als Interessierten in einen Supporter-Newsletter “gelockt” hat. Dennoch sollte man bedenken, dass sich in unserer modernen Gesellschaft der Anspruch an Kommunikation grundlegend verändert und die Fehlertoleranz erheblich abgenommen hat. Vor diesem Hintergrund ist die Frage sicherlich berechtigt, ob diese Voter Experience bei einem interessierten, aber unentschlossenen Wähler einen positiven Effekt erzielt hätte.

* Der vorliegende Blogpost basiert auf einer Datenerhebung während der ersten Phase des Europawahlkampfs (14.03. - 25.04.2024) und bildet eine spezifische Wähler-Erfahrung im Vorfeld der Europawahl 2024 anekdotisch ab. Eine vollständige und strukturierte Fallstudie, mit allen E-Mail-Touchpoints bis zum Wahltag, ist auf Anfrage erhältlich und wird in folgenden Beiträgen thematisiert .